Ein kühler Morgen auf dem Schulhof einer niedersächsischen Ganztagsschule. Zwischen spielenden Kindern und Jugendlichen fällt einem Lehrer eine auffällige Szene ins Auge: Zwei Schüler der neunten Klasse stehen eng beieinander, der eine scheint dem anderen ein kleines Döschen zuzustecken, das kurz darauf diskret in einer Jackentasche verschwindet. Was zunächst unauffällig wirkt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die Übergabe von Snus – einem nikotinhaltigen Produkt, das in Deutschland eigentlich nicht verkauft werden darf.
Snus ist ein feuchter Tabak, der ursprünglich aus Schweden stammt und dort in kleinen Beuteln unter die Oberlippe gelegt wird, um über die Schleimhäute Nikotin aufzunehmen. Während die klassische Variante Tabak enthält, kursieren heute auch sogenannte Nikotinbeutel ohne Tabak, die als vermeintlich harmlose Alternative vermarktet werden. Für Jugendliche sind diese Produkte besonders attraktiv, da sie diskret konsumierbar, leicht verfügbar und aufgrund ihres modischen Designs ansprechend verpackt sind. Der zunehmende Konsum in Schulen stellt pädagogische Fachkräfte, Eltern und die kommunale Präventionsarbeit vor ernsthafte Herausforderungen – nicht nur wegen der gesundheitlichen Risiken, sondern auch wegen der schwer kontrollierbaren Verbreitung im Schulalltag.
Obwohl Snus in Deutschland verboten ist, finden Schülerinnen und Schüler Wege, diese Produkte zu erwerben. Viele geben in vertraulichen Gesprächen an, dass sie Snus kaufen, indem sie über soziale Medien oder Onlineplattformen mit Anbietern in Kontakt treten. Der Kauf erfolgt oft anonym über Kryptowährungen oder Prepaid-Dienste, der Versand wird als harmloses Päckchen getarnt. Dadurch bleibt der Handel oft unentdeckt, selbst innerhalb der Familien oder im schulischen Umfeld.
Verbreitung und Relevanz im Schulumfeld
Die Verfügbarkeit von Snus-Produkten an Schulen steigt kontinuierlich – und das, obwohl der Verkauf in Deutschland untersagt ist. Dies liegt vor allem an der Leichtigkeit, mit der Jugendliche über digitale Wege Zugang zu diesen Artikeln erhalten. Online-Shops im Ausland, verschlüsselte Messenger-Dienste und gut vernetzte Peer-Gruppen ermöglichen eine nahezu lückenlose Verbreitung. So kursieren in vielen Klassenstufen nicht nur Hinweise darauf, wo man Snus kaufen kann, sondern auch Empfehlungen zu Geschmacksrichtungen, Nikotinstärken und Dosierung.
Ein weiterer Grund für die wachsende Beliebtheit liegt in der Wahrnehmung des Produkts. Viele Jugendliche sehen in Snus eine vermeintlich sichere Alternative zur Zigarette. Da der Konsum keinen Rauch erzeugt, fällt er im Schulalltag weniger auf und wird von den Gleichaltrigen oft als „cool“ oder „clean“ eingestuft. Das Design der Verpackungen erinnert eher an Bonbons oder Kosmetikartikel als an klassische Tabakwaren – ein Aspekt, der die Attraktivität für Heranwachsende zusätzlich steigert.
Betroffen sind vor allem Schüler*innen der Sekundarstufe I und II. Während in Haupt- und Realschulen häufiger ein offener Konsum auf dem Schulhof beobachtet wird, bleibt der Gebrauch in Gymnasien oft unauffälliger, aber keineswegs seltener. Auch an Förderschulen sind zunehmend Fälle dokumentiert, bei denen Snus Teil des Alltags ist – manchmal als Ausdruck von Gruppenzugehörigkeit, manchmal aus reiner Neugier oder Langeweile.
Pädagogische Herausforderungen für Schulen
Die diskrete Konsumform von Snus macht es Pädagoginnen und Pädagogen besonders schwer, den Gebrauch im Schulalltag zu erkennen und angemessen zu reagieren. Da kein Rauch oder typischer Geruch entsteht, kann Snus unbemerkt im Unterricht, auf dem Pausenhof oder sogar in den Sanitäranlagen verwendet werden. Lehrkräfte berichten von Fällen, in denen Schüler*innen während der Stunde auffällig unruhig oder abwesend waren – später stellte sich heraus, dass sie unter dem Einfluss hoher Nikotinkonzentrationen standen.
Der schulische Umgang mit Snus bewegt sich häufig im Spannungsfeld zwischen Aufklärung, Fürsorge und disziplinarischen Maßnahmen. Während manche Schulen auf unmittelbare Sanktionen setzen, etwa das Verfassen von Reflexionsaufgaben oder temporäre Ausschlüsse vom Unterricht, plädieren andere für einen dialogischen Ansatz, der langfristige Verhaltensänderungen fördern soll. Eine klare Linie fehlt jedoch vielerorts, nicht zuletzt, weil es an rechtlichen Rahmenbedingungen mangelt. Die Unsicherheit im Kollegium ist groß: Wann liegt ein Regelverstoß vor? Wie geht man mit Wiederholungstätern um? Und wie können Lehrkräfte präventiv tätig werden, ohne in einen Generalverdacht oder eine Überforderung zu geraten?
Rolle der Schulsozialarbeit
In dieser Gemengelage spielt die Schulsozialarbeit eine zentrale Rolle. Als Schnittstelle zwischen Schule, Familie und Jugendhilfe ist sie prädestiniert dafür, sowohl akute Konflikte aufzufangen als auch nachhaltige Präventionsstrukturen zu etablieren. Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter bieten vertrauliche Gesprächsangebote, führen Einzelfallberatungen durch und organisieren themenspezifische Workshops oder Gruppenangebote. Sie erkennen frühzeitig Risikomuster und können entsprechende Netzwerke aktivieren.
Ein gelungenes Beispiel aus Niedersachsen zeigt, wie in Kooperation mit einer lokalen Suchtberatungsstelle ein Präventionsparcours an mehreren Ganztagsschulen durchgeführt wurde. Dabei wurden neben der Wissensvermittlung auch Rollenspiele, Selbsterfahrungsübungen und Reflexionsrunden angeboten. Die Rückmeldungen der Jugendlichen waren überwiegend positiv – insbesondere der persönliche Austausch mit ehemals abhängigen jungen Erwachsenen wurde als besonders eindrucksvoll empfunden.
Präventionsansätze – Was wirkt wirklich?
Wirksame Prävention setzt früher an, als es vielen bewusst ist. Reine Wissensvermittlung über die Gefahren von Nikotin reicht dabei nicht aus. Erfolgreiche Programme kombinieren Informationen mit der Stärkung personaler und sozialer Kompetenzen: Selbstbewusstsein, Kritikfähigkeit, Konfliktlösungsstrategien und Umgang mit Gruppendruck.
Im Ganztag ergeben sich besonders günstige Rahmenbedingungen für nachhaltige Prävention. Projekttage, Schüler-AGs oder theaterpädagogische Angebote bieten Raum für kreative Auseinandersetzung und fördern die Eigenverantwortung der Lernenden. Peer Education – also die Einbindung von gleichaltrigen Multiplikatoren – zeigt in der Praxis eine hohe Wirksamkeit, da Jugendliche häufig offener mit Gleichaltrigen sprechen als mit Erwachsenen.
Zudem lässt sich Prävention als fester Bestandteil in schulische Konzepte wie das Soziale Lernen oder das Schulcurriculum integrieren. Wichtig ist dabei die kontinuierliche Reflexion und Evaluation der Maßnahmen, um nicht in bloßen Aktionismus zu verfallen.
Zusammenarbeit mit dem Elternhaus
Ein oft unterschätzter Aspekt der Präventionsarbeit ist die Einbindung der Eltern. Viele Erziehungsberechtigte wissen wenig über Snus oder verkennen die Gefahren. Da der Konsum nicht mit klassischem Rauchen einhergeht, fehlt es an sichtbaren Indizien – und selbst wenn Symptome wie Nervosität, Konzentrationsschwierigkeiten oder Magenprobleme auftreten, werden sie selten mit Nikotin in Verbindung gebracht.
Daher braucht es gezielte Informationsangebote für Eltern: Themenabende, Workshops oder digitale Informationsformate. Auch Elternbriefe, die über neue Trends im Substanzgebrauch aufklären, haben sich als hilfreich erwiesen. In schwierigen Gesprächen – etwa wenn der eigene Sohn oder die Tochter beim Konsum erwischt wurde – ist ein feinfühliges, unterstützendes Vorgehen gefragt. Vorwürfe sind hier fehl am Platz; gefragt ist ein kooperativer Ansatz, der das gemeinsame Ziel verfolgt, das Kind zu schützen und zu begleiten.
Kooperation mit externen Stellen
Eine wirksame Prävention ist ohne die Einbindung externer Akteurinnen und Akteure kaum zu leisten. Gesundheitsämter, Suchtberatungsstellen, Polizei und Jugendämter verfügen über Fachwissen, Ressourcen und Handlungsspielräume, die Schulen allein nicht abdecken können. Besonders hilfreich ist der Aufbau kommunaler Präventionsnetzwerke, in denen regelmäßiger Austausch, gemeinsame Fortbildungen und abgestimmte Interventionspläne entwickelt werden.
Die Polizei kann beispielsweise durch schulische Präventionsbeamtinnen über rechtliche Konsequenzen aufklären, ohne dass dies als reine Abschreckung dient. Die Jugendhilfe wiederum kann bei familiären Belastungslagen frühzeitig unterstützend eingreifen. Schulen profitieren dabei von klaren Zuständigkeiten und kurzen Kommunikationswegen – ein Ziel, das allerdings eine gewisse strukturelle und personelle Kontinuität voraussetzt.
Fazit
Der Konsum von Snus unter Kindern und Jugendlichen ist ein ernstzunehmendes Thema, das im schulischen Alltag immer stärker präsent wird. Die diskrete Konsumform, die leichte Verfügbarkeit über digitale Kanäle und die oftmals verharmlosende Darstellung in sozialen Netzwerken machen es zu einer schwer greifbaren Herausforderung. Pädagogische Fachkräfte stehen vor der Aufgabe, nicht nur zu reagieren, sondern präventiv, vernetzt und nachhaltig zu handeln.
Notwendig ist eine pädagogische Kultur, die informiert, sensibilisiert und partizipativ gestaltet ist – und die Schulen nicht allein lässt. Eine enge Zusammenarbeit mit Eltern, Schulsozialarbeit und kommunalen Partnern kann dabei helfen, wirksame Strukturen aufzubauen, die Kinder und Jugendliche schützen und stärken. Denn nur durch ein gemeinsames, abgestimmtes Vorgehen lassen sich langfristige Lösungen finden, um der Verbreitung gesundheitsgefährdender Substanzen wie Snus im Schulumfeld wirksam entgegenzutreten.