Wirtschaft sollte Pflichtfach werden
Nur in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ist das Fach Wirtschaft derzeit fest im Lehrplan verankert, in anderen Ländern gibt es immerhin Hybride wie Wirtschaft und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft oder Wirtschaftseinheiten in anderen Fächern wie Sozialkunde, Arbeitslehre etc. Dabei ist unstrittig, dass wirtschaftliche Zusammenhänge und Entscheidungen den Lebensweg der künftigen Erwachsenen nicht nur begleiten, sondern prägen werden. Schülerinnen und Schüler sind – wie wir alle – ständig mit Wirtschaftsnachrichten, vor allem aber auch mit Werbung für verschiedene Produkte und Dienstleistungen aus der Finanzbranche konfrontiert.
Kinder und Jugendliche sollten mit den Versprechungen und Verlockungen der Werbung jedoch keinesfalls alleine gelassen werden. Vielmehr sollten sie in die Lage versetzt werden, einzelne Wirtschaftsereignisse, ihre Auswirkungen und die wirkenden Zusammenhänge selbst zu verstehen, um wirtschaftliche Entscheidungen und Angebote selbstständig beurteilen zu können. Mit anderen Worten: So wie es in einer immer virtueller werdenden Welt das Fach Medienkompetenz braucht, so braucht es in einer Welt, die sich zu großen Teilen um das Geld dreht, das Fach Wirtschaft, um unsere Kinder als mündige Individuen auf diese Welt vorzubereiten.
Finanzbildung ist relevant
Als beschränkt geschäftsfähige Personen können Schülerinnen und Schüler unter 18 Jahren zwar nicht unbeschränkt am wirtschaftlichen Geschehen teilnehmen, aber mit Zustimmung der Eltern ist es selbst Jugendlichen erlaubt, beispielsweise ein Depot bei einem Broker zu eröffnen und mit Finanzpapieren zu handeln. Nicht zuletzt, um seriöse und attraktive Angebote von Scam-Angeboten, überteuerten oder viel zu risikoreichen Angeboten unterscheiden zu können, benötigen sie eine solide Finanzbildung. Eltern sollten ihre Kinder – selbst wenn diese bereits zu kleinen Experten geworden sind – hier keinesfalls alleine lassen und mit ihnen gemeinsam Angebote vergleichen, Test- und Erfahrungsberichte sowie Anbieter im Check durchsehen, bevor sich für einzelne Investments oder Investmentstrategien entschieden wird.
Über das eigene Girokonto sowie das Smartphone und hier hinterlegte Zahlungsoptionen, hat ein großer Teil der Jugendlichen überdies Zugang zu den verschiedensten Produkten und Dienstleistungen. Der sogenannte Taschengeldparagraph (§110 BGB) sieht zudem vor, dass Kinder und Jugendliche selbstständig über die eigenen Geldmittel verfügen können (sehr teure Anschaffungen oder Abonnements sind ausgeschlossen; Eltern können Kaufentscheidungen – bevor sie getätigt werden – explizit verbieten).
Schülerinnen und Schüler sind deshalb trotz beschränkter Geschäftsfähigkeit und beschränktem Budget durchaus wirtschaftlich aktiv. Viele sind darüber hinaus aktive Sparer, nehmen beispielsweise am Fondssparen teil oder haben eigene Bausparverträge und einige versuchen sich bereits in jungen Jahren am Börsenhandel. Spätestens mit dem Beginn der beruflichen Laufbahn gilt es, Entscheidungen bezüglich Riester- und Betriebsrenten, Versicherungen und weiterer Vorsorgeleistungen zu treffen.
Das Bildungssystem bereitet sie derzeit allerdings kaum systematisch und hinreichend auf diese Fragen und Entscheidungen vor. Laut Jugend- und Finanzmonitor wünschen sich deshalb 92 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen schon in der Schule mehr über Geld, Wirtschaft und Finanzen zu erfahren. Um diesem Interesse und der Bedeutung der Thematik gerecht zu werden, sollte es ein eigenständiges Fach mit ausschließlich wirtschaftlichen Inhalten geben. Die inhaltliche Ausgestaltung sollten selbstverständlich Experten übernehmen, aber es sollte zumindest Unterrichtseinheiten zu den im Folgenden besprochenen Themen geben.
Börsenhandel und Finanzmarkt
Der Finanzmarkt beziehungsweise der Handel an den verschiedenen Börsen dieser Welt steht nicht nur für tagtäglich stattfindende Transaktionen in Milliardenhöhe, sondern soll auch weitergehende wirtschaftliche Zwecke erfüllen. Schülerinnen und Schülern sollte vermittelt werden, dass Trading, Investments, Geldanlagen etc. nur die eine – zweifelsohne wichtige und faszinierende – Seite der Medaille sind, dass die Bewegungen auf den Finanzmärkten aber mindestens ebenso wichtig für die Versorgung von Unternehmen mit Kapital sowie für die Preisbildung beispielsweise bei Rohstoffen oder Währungskursen ist.
Ein Lehrplan für die Klassenstufen 9 bis 12 könnte (in Anlehnung an bereits existierende Lehrpläne) in etwa wie folgt aussehen:
Einleitung in die Welt der Finanzmärkte (Klassenstufe 9):
- Erklärung der Grundbegriffe: Finanzmärkte, Börsen, Transaktionen
- Die Rolle der Finanzmärkte in der Wirtschaft
- Primär- und Sekundärmarkt: Wie werden Wertpapiere emittiert und gehandelt?
- Funktion und Bedeutung von Aktien, Anleihen, Rohstoffen und Währungen für Unternehmen und die Gesellschaft
Geldmanagement und Budgetierung (Klassenstufe 10):
- Erstellung eines persönlichen Budgets und Finanzplans
- Sparen und Schuldenmanagement: Wie gehen wir verantwortungsvoll mit Geld um?
- Kreditwürdigkeit und der Einfluss von Krediten auf die finanzielle Gesundheit
- Risiken und Chancen bei finanziellen Entscheidungen
Investieren und Geldanlagen (Klassenstufe 11):
- Die verschiedenen Arten von Investitionen: Aktien, Anleihen, Investmentfonds und wie sie zu analysieren sind
- Portfolio-Diversifikation und Risikotoleranz: Wie bauen wir ein ausgewogenes Portfolio?
- Investmentstrategien: Langfristiges Investieren vs. kurzfristiges Trading
- Die Auswirkungen von Inflation und Zinsen auf Investitionen
Unternehmensfinanzierung und Kapitalbeschaffung (Klassenstufe 12):
- Wie nutzen Unternehmen die Kapitalmärkte zur Finanzierung und Expansion?
- Die Bedeutung von Eigenkapital und Fremdkapital in der Unternehmensfinanzierung
- Börsengänge (IPOs) und Unternehmensanleihen: Wie funktionieren diese Mechanismen?
- Die ethischen und sozialen Aspekte der Unternehmensfinanzierung
Aktuelle Finanzthemen und Praxis (in allen Klassenstufen):
- Wir werden regelmäßig aktuelle Finanznachrichten und -ereignisse diskutieren und ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte analysieren.
- In jedem Semester werden Schüler praktische Übungen durchführen, wie die Simulation von Aktienkäufen und -verkäufen.
- Darüber hinaus werden sie an realen Fallstudien aus der Finanzwelt arbeiten, um ihr Verständnis zu vertiefen.
Bewertung
Die Schülerinnen und Schüler werden anhand von Tests, Präsentationen, schriftlichen Arbeiten und praktischen Übungen beurteilt. Die Schwerpunkte liegen auf der Anwendung des erworbenen Wissens auf reale Finanzszenarien und auf der Fähigkeit, kritisch über finanzielle Entscheidungen nachzudenken.
Dieser Lehrplan hebt die Verbindung zwischen den Finanzmärkten und der Gesellschaft sowie Unternehmen hervor. Die Schüler werden ermutigt, die Bedeutung von Finanzmärkten für die Versorgung von Unternehmen mit Kapital und die Preisbildung bei Rohstoffen oder Währungskursen zu verstehen und ethische Aspekte bei Finanzentscheidungen zu berücksichtigen.
Versicherungen und Vorsorgeleistungen
Neben den Finanzmärkten und den Möglichkeiten zum Vermögensaufbau sollten Schülerinnen und Schüler sich auf jeden Fall auch mit den Themen Versicherungen und Vorsorgeleistungen auseinandersetzen, denn diese werden spätestens mit dem Berufseinstieg relevant. Unter Umständen lohnt sich der Einstieg in bestimmte Versicherungen wie eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung bereits während der Schulzeit und andere Vorsorgeleistungen wie die Riester Rente können ihren maximalen Nutzen nur entfalten, wenn Versicherte möglichst früh einsteigen. Dieser Themenkomplex sollte daher, auch wenn das Interesse nicht so hoch ist wie beim Thema Börsenhandel, bereits in der Mittelstufe besprochen werden.
Ein Lehrplan für die Klassenstufen 8 und 9 könnte (in Anlehnung an bereits existierende Lehrpläne) in etwa wie folgt aussehen:
Einführung in das Thema Versicherungen (Klassenstufe 8, erstes Halbjahr):
- Grundlagen von Versicherungen und deren Bedeutung für die finanzielle Sicherheit
- Versicherungsarten: Haftpflicht, Krankenversicherung, Sachversicherungen, Lebensversicherungen
- Risikobewertung und Versicherungspolicen
- Relevanz von Versicherungen in verschiedenen Lebenssituationen
Vorsorgeleistungen und Altersvorsorge (Klassenstufe 8, zweites Halbjahr):
- Wichtige Vorsorgeleistungen, wie die Riester Rente und betriebliche Altersvorsorge
- Langfristige Finanzplanung und die Bedeutung von frühzeitiger Vorsorge
- Risiken im Alter und die Notwendigkeit einer ausreichenden Altersvorsorge
- Vergleich von verschiedenen Altersvorsorgeprodukten und deren Vor- und Nachteile
Erwerbsunfähigkeitsversicherung und weitere spezialisierte Versicherungen (Klassenstufe 9, erstes Halbjahr):
- Vertiefte Untersuchung der Erwerbsunfähigkeitsversicherung
- Spezialisierte Versicherungen wie Berufsunfähigkeitsversicherung und private Pflegeversicherung
- Finanzielle Planung für den Fall von Erwerbsunfähigkeit oder Krankheit
- Praktische Übungen zur Berechnung von Versicherungsprämien und Leistungen
Praktische Umsetzung und aktuelle Themen (Klassenstufe 9, zweites Halbjahr):
- Diskussion aktueller Entwicklungen und Themen in der Versicherungsbranche
- Erstellung eines persönlichen Versicherungsplans und Vorsorgeplans
- Simulation von Versicherungsfällen und deren Auswirkungen auf die finanzielle Situation
Bewertung: Die Schülerinnen und Schüler werden anhand von Tests, Präsentationen, schriftlichen Arbeiten und praktischen Übungen bewertet. Ein Schwerpunkt liegt auf der praktischen Anwendung des erlernten Wissens in Bezug auf Versicherungen und Vorsorgeleistungen.
Fazit
Wirtschafts- und Finanzbildung wird in unserem Bildungssystem aktuell sträflich vernachlässigt, obwohl sowohl ein großes Interesse seitens der Schülerschaft als auch eine große Relevanz für das Leben in modernen Gesellschaften besteht. Dieser Artikel argumentiert deshalb für ein Pflichtfach Wirtschaft in allen Bundesländern und formuliert erste Vorschläge, wie ein Lehrplan gestaltet werden könnte, damit Schülerinnen und Schüler gut auf die finanziellen Entscheidungen und Möglichkeiten, die sie in ihrem Leben erwarten, vorbereitet werden.